Warum können wir nicht schlafen, wenn wir es am meisten bräuchten? Nämlich, in stressigen Lebensphasen. Dieser Frage widmen Dr. Corinna Geiger und ich uns in Teil Drei unserer Interviewserie: Wir zwirbeln das Thema Schlaf, Stress und Immunsystem auf. Aber wir geben Dir auch Tipps, wie Du aus diesem Worst-Case Szenario herauskommst. Hier kannst Du das Interview in voller Länge nachhören.
„Mehr Schaf als Schlaf“, lautet mein Motto über lange Jahre. Oder weniger lustiger Real-Talk: Ich war fertig mit der Welt. Jeden Morgen, unausgeschlafen, grantelnd und unkonzentriert. „Schlaf ist nicht verhandelbar“ hat mir jede einzelne gute Therapeutin auf meinem Weg gesagt. „Ja, eh“, habe ich mir immer gedacht, „aber was zur Hölle soll ich denn tun, damit das klappt?“ Vermutlich habe ich das auch so gesagt. Worauf ich von Progesteron, über Melatonin bis Hoggar Night – das mich völlig ausgeknockt hat, so ziemlich alles empfohlen bekam, was der Markt hergab.
Chronische Schlafstörungen sind am häufigsten stressbedingt
Dummerweise wusste ich damals nicht, dass mein chronischer Stress das Grundproblem war, das eine ellenlange, dicke, ungute Latte (an der Stelle ist Lachen angebracht) nach sich zog. Weil das Pennen aber tatsächlich unverhandelbar ist, haben die Internistin Dr. Corinna Geiger und meine nicht mehr schlaflose Wenigkeit beschlossen, dem Thema Schlaf, Stress und Immunsystem in einem Interview auf den Grund zu gehen.
Aber wie ist das nun eigentlich mit dem Schlaf? Gehen wir mal von richtig guten Schläfer:innen aus: Die sind nach einem anstrengenden Tag angenehm müde. Und je länger der dauert, desto müder werden sie. No na. Dahinter steckt ein biologischer Prozess: Die Neuronen, unsere Nervenzellen, verbrauchen ATP, den universellen körperlichen Energiebotenstoff. Dabei entsteht ein anderer Stoff, Adenosin. Je mehr Adenosin wir über den Tag ansammeln, desto müder werden wir.“ Will heißen: wir kommen in einen Zustand, in dem der Körper bereit ist, runterzufahren. Ebenfalls mit im Spiel sind Außenfaktoren, etwa Tageslicht – Stichwort Melatoninhaushalt. Licht dämpfen ab der Dämmerung ist ergo nicht die schlechteste Idee. In den ersten Tagesstunden rauszugehen detto.
Die Schlafphasen und ihr Sinn
Einmal eingeschlafen, gibt es drei Schlafphasen
- Tiefschlaf
- Rem-Schlaf
- Leichtschlaf
Die Tiefschlafphase
In der Tiefschlafphase findet Regeneration statt. Womit wir noch einmal zurück zu den Neuronen gehen, die über den Tag ihre Energie verbraten haben. Weswegen wir, siehe oben, müde werden, und in die Tiefschlafphase fallen. In der ist die neuronale Aktivität sehr niedrig. Den Neuronen eröffnet das die Möglichkeit, ihre Energie zu regenerieren. Genauer gesagt, produzieren sie aus dem Adenosin neuerlich ATP, und füllen ihre Zuckerspeicher (Glykogenspeicher) wieder auf. Damit aber nicht genug. Tiefschlaf brauchen wir auch für den so genannten glymphatischen Flow. Hinter diesem wunderschönen Begriff steckt nichts anderes, als der Lymphfluss im Gehirn, der sich im Tiefschlaf ändert. Da spült er nämlich Ablagerungen zwischen den Nervenzellen quasi wieder raus. Wer es genau wissen will, die Rede ist von Amyloid und dem Tau-Protein. Von beiden weiß man, dass ein Zu Viel davon im Gehirn Alzheimer und Demenz verursachen. Was folgern wir? Richtig, Tiefschlaf ist die beste Demenzprophylaxe. Wie viel Tiefschlaf wäre nun aber ideal? Ausgehend von einem vorbildlichen Acht-Stunden Schlaf zweieinhalb Stunden. Das ist ein Drittel.
Die REM-Schlafphase & der Leichtschlaf
Im REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) träumen wir bekanntlich. Und es findet unsere Gedächtniskonsolidierung statt. Alles, was wir untertags erleben, rekapitulieren wir, und schätzen wir in Sachen Priorität ein. Gehen wir für uns wichtige Informationen vor dem Einschlafen noch einmal kurz durch, haben wir die beste Chance, dass sie ins Langzeitgedächtnis übergehen. Und ja: Im Schlaf lernen wir auch. Was etwa für Prüfungsphasen heißt: Nickerchen willkommen. Denn was Du kurz davor gelernt hast, schafft es ins Langzeitgedächtnis. Bleibt noch der Leichtschlaf, in dem wir am längsten festhängen. Der ist dummer Weise der ineffektivste Schlaf.
Real Feel morgens: Vom LKW überfahren?
Das liegt in der Regel daran, dass Du zu wenig Tiefschlaf hast. Oder in anderen Worten: Der Tiefschlaf hat nicht ausgereicht, um – remember – das Adenosin in ATP umzuwandeln. Ist nun morgens noch zu viel Adenosin vorhanden, bist Du eigentlich im Status „Ich sollte jetzt einschlafen.“ Wobei dazu noch Faktoren hormoneller Natur kommen, Stichwort Stresshormone.
„Die WHO hat stressbedingte Schlafstörungen schon länger zur Epidemie erklärt. Man kann wirklich sagen: Viel Stress und schlechter Schlaf bringen Dich schneller um.
Dr. med. Corinna Geiger
Du kippst in solchen Fällen einen Kaffee, und funktionierst dann? Das bildest Du Dir nicht ein. Denn Kaffee ist ein Adenosin-Antagonist. Was so viel heißt wie, er bindet an den Adenosin-Rezeptor, der eigentlich vermitteln würde, dass es Zeit ist, zu schlafen, und blockiert dessen Wirkung. Hat der Körper das Koffein allerdings verstoffwechselt, dann kommt der große Einbruch. Kennst Du? Yep, ich auch.
Barista-Tipp zum leidigen Thema Kaffee
Wenn Du auf koffeinhaltigen Kaffee nicht verzichten kannst, greif lieber zu Arabica-Kaffee, der ausschließlich im Hochland wächst. Der Hintergrund: Das Koffein in der Kaffeepflanze soll Fressfeinde abhalten. Je höher die Pflanze wächst, desto weniger Koffein enthält sie, weil es dort kaum mehr Fressfeinde gibt. Wenn Du lieber koffeinfreien Kaffee trinkst, dann greif auf einen zurück, der nur mit Wasser entkoffeiniert ist. Etwa No Coffee. (unbezahlte Werbung).
Stressbedingte Schlafstörungen
Ist Stress bei Dir bis kurz vor dem Schlafen gehen ein Dauerbegleiter? Eh schon wissen: Der Tag war stressig, am Abend spinnen dann die Kids, der Partner beginnt um 23h eine Diskussion, die Schwiemu ruft an etc. All das führt zu erhöhten Cortisolspiegeln (you know, der sollte abends runtergehen), und die schädigt die Neuronen im Gehirn, die für eine gute Schlafregelung zuständig sind. Und das heißt am Ende des Tages dann Ciao Baba Tiefschlaf.
Was passiert denn eigentlich, wenn das Cortisol abends hoch ist?
Ist der Stress und damit das Cortisol hoch genug, bist Du in einer schwierigen Situation. Denn vergegenwärtigen wir uns: Wenn Du etwa abends einen Konflikt austrägst, was passiert dann? Am Beginn der Stressreaktion geht das Adrenalin hoch. Deine Herzfrequenz steigt, Dein Blutdruck auch. Dieser Prozess dauert aber nur 30 Sekunden, dann setzt bereits das Cortisol ein. Nicht gut. Gar nicht gut. Denn das Cortisol ist bekanntlich dazu da, vor dem sprichwörtlichen Bären wegzulaufen. Das bedeutet, hellwach ist angesagt. Und dann passieren ungute Sachen. Zum Beispiel pinkeln wir Magnesium aus, weil es keinen Sinn macht in diesem Moment. Denn es aktiviert Gaba – den entspannten Teil des Nervensystems.
Cortisol ist ein Aus-Schalter
Cortisol sorgt aber auch dafür, dass alle Funktionen des Körpers ausgeschaltet werden, die gerade nicht gebraucht werden, etwa die Verdauung. Chronischer Stress führt sogar zu Leaky Gut, vulgo Darmpermeabilitätsstörung. Hintergrund-Info dazu: Bestimmte Releasing-Hormone – CRH und ACTH, regen die Cortisolproduktion in der Nebenniere an. CRH tut aber noch mehr: es aktiviert dummer Weise auch die Mastzellen, die CRH-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche haben. Dadurch wird viel Histamin ausgeschüttet, was u.a. den Darm durchlässiger macht. Von daher tun MCAS-Patient:innen gut daran, Mastzellstabilisierer, wie Ketotifen, abends zu nehmen.
Im Übrigen hebt Cortisol den Blutzuckerspiegel an – theoretisch würden wir ja gleich losrennen. Außerdem bringt es die Sexualhormone durcheinander. Denn, ist der Körper dauernd damit beschäftigt Cortisol herzustellen, hat er keine Zeit mehr dafür, Progesteron & Co. zu produzieren. Die Regel für ihn lautet immer „Cortisol first“. Mit einem Progesteronmangel schläfst Du schlechter, aber er führt auch zu verminderter Fruchtbarkeit. Und ja, der Progesteronmangel, der heute viele Frauen betrifft, kann tatsächlich stressbedingt sein. Warum es in diesem Fall sinnvoll ist, am selben Zyklustag einen Blut-, und einen Speichelhormontest zu machen, erläutert Dr. Corinna Geiger im Gespräch. Side-Fact: Wusstest Du übrigens, dass gestresste werdende Mütter weniger resiliente Kids bekommen? Der Fötus hat dann tatsächlich eine andere Gehirnstruktur. Diese Kinder haben im späteren Leben eine größere Chance, dass sie neutrale Situationen als bedrohlich einstufen.
Schlaf, Stress und Immunsystem: Was kannst Du tun?
Wenn Du bei einer stressbedingten Schlafstörung an Melatonin denkst, dann kommt jetzt leider eine Ernüchterung. Melatonin hilft Dir zwar beim Einschlafen, aber es sorgt für keinen erholsamen Schlaf. Und um den geht es ja. Wichtiger ist, dass Du Deine entspannenden Neurotransmitter stärkst, etwa mit Magnesium (Gaba) oder Adaptogenen wie Ashwaghanda, auf Deinen Lebensstil untertags achtest, und Dir eine entspannende Abendroutine zulegst.
Medikamentös werden gern Benzodiazepine angeboten. Die lassen Dich zwar schlafen, verbessern aber nicht die Tiefschlafphase. Sagen wir es, wie es ist, es ist die Holzhammer-Methode. Antihistaminika der ersten Generation sorgen übrigens auch nicht für eine bessere Tiefschlafphase. Same Game, sozusagen.
Apropos Histamin
Fakt ist: Histamin ist ein Neurotransmitter. Nun gibt es im Hypothalamus eine Art Schlaf-Wach-Zentrum, das der Botenstoff Orexin steuert. Der kann dummer Weise wachmachende Neurotransmitter, wie Histamin, produzieren, die Du abends nicht brauchen kannst. Notiz am Rande. Genau deshalb ist ein eben auf den Markt gekommenes, neues Medikament, das den Tiefschlaf verbessern soll, ohne einen Hangover zu produzieren, auch ein Orexin-Antagonist. Allerdings gibt es damit noch nicht viele Erfahrungen.
Schlaf, Stress und Immunsystem: Und die Gadgets?
Echte Schlafphasen kann man nur mit EEG feststellen. Punkt. Ja, das tut weh. Auch mir, die ihren Ouraring heiß liebt. Du willst Deinen Schlaf genau analysieren, aber nicht in ein Schlaflabor gehen? Die gute Nachricht, es gibt eine Option: Das Muse-Stirnband. Dabei handelt es sich um ein EEG-Gadget. Ouraring und Co. dagegen extrapolieren aus Daten, die mit dem EEG nichts zu tun haben, welche Schlafphasen Du gerade hast. Was nicht gegen Oura & Co spricht, denn die sammeln wiederum viele andere Daten über Dein Befinden. Das kann ein EEG-Stirnband nicht.
Bleibt noch eine Frage: Solltest Du das Interview noch nachhören, wenn Du diesen Artikel schon gelesen hast? Die Antwort: Auf jeden Fall! Wir haben 90 Minuten geplauscht, und dieser Text ist nur eine Kurzzusammenfassung.
Links zu genannten Produkten zum Thema Stress, Schlaf und Immunsystem:
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