Medizinisches & Hintergründe

Der Bauernhof-Effekt: Kuhstallluft gegen Allergien

Städterin füttert Kuh im Stall – Symbol für den Bauernhof-Effekt und Immunschutz.

„Geh öfter in den Kuhstall, wenn du dauernd krank bist“, sagte meine Oma Rosa noch mit über 90, geistig völlig klar. Und sie hatte recht. Ein belgisches Forscherteam fand heraus, dass ein Protein im Staub der Kuhstallluft das Immunsystem beim Einatmen pusht. Rohmilch trinken täte es übrigens auch. Sie enthält dasselbe Protein, und führt auch zum Bauernhof-Effekt.

Es waren einmal: Laura, Hannah und Michael Halbfurter, drei Bauernkinder aus Osttirol mit einer Vorliebe für Rohmilch. 2013 schafften sie es damit zu Wetten dass…? Ihr Talent: die Milch von 20 Kühen des hauseigenen Stalls geschmacklich unterscheiden zu können. Die Wette haben sie gewonnen. Und sie sahen dabei sehr proper, gesund und immunstark aus. Lag das an der Rohmilch? Yep, tat es warscheinlich.

Was steckt hinter dem Bauernhof-Effekt?

Nicht die Rohmilch als solches. Für die Immunstärke der Kids sorgte ein ganz bestimmtes Protein, das sich sowohl in der Rohmilch, wie auch in der Stallluft findet, wie man seit 2015 dank einer Studie von Martijn Schuijs und seinem Forscherteam der Universität Gent weiß.

Die Halbfurter Kinder, die in Wetten Dass Rohmilch unterschiedlicher Kühe unterscheiden konnten.

Die Halbfurter Kinder heute. Sie sind etwas älter geworden, haben noch eine kleine Schwester dazu bekommen. Aber eines ist unübersehbar: Sie sehen noch immer genauso gesund aus wie zu Wetten dass…?-Zeiten. Ob sie noch immer Rohmilch-Trinker:innen sind? Man darf es vermuten. Bildcredit: www.halbfurter.at

Kuhstallluft und Rohmilch – die Studienlage

Am Anfang war es die Rohmilch, die als Spur zum sogenannten Bauernhof-Effekt führte. Im österreichischen Krankenhaus Schwarzach kam ihm schon 2001 auf die Spur, und zwar mit einer hauseigenen Studie mit 901 Kids. Man untersuchte, ob im ersten Lebensjahr regelmäßig Rohmilch trinkende Kinder aus ländlichen Regionen im Kindergartenalter seltener an Asthma und Allergien erkrankten, als erhitzte Supermarktmilch-trinkende. Die Antwort: Ganz klar Ja. Eine Londoner Studie des Epidemiologen David Strachan mit 5.000 Kids kam dann übrigens fünf Jahre später zum selben Schluss. Wie auch eine Untersuchung von Georg Loss vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Der hat aber nicht nur Kinder untersucht, sondern auch ihre Mütter. Seine Testgruppe bestand aus 1.000 Schwangeren in ländlichen europäischen Gebieten. Was er herausfand, bestätigt die bisherigen Erkenntnisse. Bei Kindern, die vor ihrem ersten Geburtstag regelmäßig ungekochte Rohmilch getrunken hatten, war die angeborene Immunantwort aktiver.

Die Gabriella-Studie belegt den Bauernhof-Effekt

Kuhmilch enthält über 400 verschiedene Bestandteile. Und nicht alle davon mögen das, was die Industrie mit der Milch macht: Pasteurisieren und Homogenisieren nämlich. Die Industrie erhitzt die Milch hoch, um etwaige vorhandene Krankheitserreger zu zerstören. Und natürlich, damit sich keine dicke Rahmschicht oben ablagert. Aber etwas geht einher damit. Die Milch-Eiweiße verändern ihre Struktur und Funktion. Und wenn das passiert, dann ist die Sache auch schon gegessen. Die stehen nämlich mit an vorderster Front, was den Schutz vor Allergien betrifft. Das wiederum bestätigte “Gabriella”, eine Studie an über 8.000 Kindern in ländlichen Gebieten Süddeutschlands, der Schweiz, Österreichs und Polens. Da zeigte sich nämlich, dass die Menge an unveränderten Molkeproteinen das Immunsystem im Verdauungstrakt positiv beeinflusst.

Was Hygiene mit dem Bauernhofeffekt zu tun hat

Bauernhofkids haben entgegen der Stadtkinder aber nicht nur mit der Rohmilch, sondern auch intensiv mit den dort lebenden Nutz- und Haustieren Kontakt. Und es gibt im Stall jede Menge harmlose Mikroorganismen, die das Immunsystem trainieren. „Die Stadtmenschen leben oft in einer viel zu sterilen Umgebung“, so Immunologe Wolfgang Schamel von der Universität in Freiburg. Gemeint ist damit ein zu geringer Kontakt zu Bakterien, Viren und Parasiten. Und yep, das ist negativ. Heißt das, dass hinter der rasanten Zunahme an Allergien und Autoimmunerkrankungen bei Kindern in westlichen Ländern zu viel Hygiene stecken könnte? Ja, sagt der Immunologe. Der medizinische Begriff dazu lautet „Hygiene-Hypothese“. Der österreichische Gynäkologe Hans Concin stimmt dem zu. Es gelte, sagt er, das Immunsystem mit einer Vielfalt an ungefährlichen Bakterien herauszufordern. Ideale Bedingungen dazu biete der Kuhstall, wo das körpereigene Mikrobiom gestärkt werden könnte. Und genau daraus entwickelte sich ein spezielles Angebot: Kuhstallworkshops für Schwangere & Kids.

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So, jetzt haben wir die Komponenten Milch und Luft. Und damit landen wir wieder bei Martijn Schuijs und seinem Forscherteam der Universität Gent. Die bringen nämlich beides zusammen. Remember: Das idente Protein.

Stallstaub und Rohmilch enthalten das gleiche Protein

Schuijs und sein Team haben herausgefunden, dass es das Enzym A20 ist, dass die Milch und die Luft verbinden, wie sie im Fachmagazin Science erörtern. Atmen wir Stallluft ein, trifft das Protein Beta-Lactoglobulin (BLG) aus der Luft auf das Enzym A20, das sich in den Schleimhäuten unserer Atemwege befindet. Dieser Vorgang aktiviert das Enzym A20 und blockiert so eine Überreaktion des Immunsystems, die zu Allergien und Asthma führen kann, schreibt das belgische Forscherteam. Du kannst jetzt nicht täglich einen Stall besuchen? Verständlich. Die Forscher nennen eine Alternative: Rohmilch. In der findet sich nämlich dasselbe Protein wie im Stallstaub.

Wusstest Du, dass man schon vor über 100 Jahren den Einfluss von Stallluft kannte, und Patienten mit Asthma & Co zur Alpenkur schickte? Die Schlafsäle der Kurgäste lagen über dem Stall.

Krankheitserreger in Rohmilch?

Du fragst dich, ob Rohmilch wirklich gesund ist? Können da nicht Krankheitserreger drin sein? Da ist tatsächlich auch was dran. Darum rät etwa Georg Loss Schwangeren oder Säuglingsmüttern nicht, Rohmilch zu trinken, um den Bauernhof-Effekt zu erreichen. Und das trotz der überzeugenden Studien zum Thema Allergien. Denn nebst allen guten Bestandteilen können sich mitunter auch Salmonellen, Listerien, Campylobacter oder Ehec darin tummeln. Allesamt sind das bekanntlich sehr unlustige Krankheitserreger. Daher denkt der Forscher auch bereits laut darüber nach “eine Milch zu entwickeln, die zwar die schützenden Stoffe enthält, aber eben nicht die krank machenden Mikroorganismen.” Wie das gehen könnte? Man könnte die Mikroorganismen durch neue reinigende Filtrationsverfahren erhalten, die die bisherige Erhitzung ablösen. Eine andere Variante wäre, genau die Substanzen der pasteurisierten Milch zuzusetzen, die vor Allergien schützen. Dazu müsste man die aber erst mal genau kennen.

Kurzes Abkochen der Milch verändert den Bauernhof-Effekt nicht

Gibt es einen Weg, die Rohmilch zu umgehen? Ja. Sie kurz abzukochen. Der beschriebene Effekt der Rohmilch ändert sich nämlich durch kurzes Abkochen nicht. Auch das haben die Genter Forscher herausgefunden. Dann kannst du ja gleich zur so genannten ESL-Milch greifen? Definitiv nein. Denn die wird zwecks quasi ewiger Haltbarkeit besonders hoch erhitzt und beinhaltet am wenigsten vom einst natürlichen Produkt. Halbfett? Auch davon lässt man besser die Finger. Gerade die Milch von Weide-Kühen enthält wichtige Transfettsäuren, die einen beruhigenden, antientzündlichen Einfluss auf die Immunantwort haben.

Milch ist so gar nicht deins? Es gibt Alternativen

Den Bauernhof-Effekt gibt es tatsächlich bereits in Form einer Pille. Bencard Allergie hat das Molekül aus der Rohmilch in eine frei verkäufliche Lutschtablette namens ImmunoBON® gepackt, die Kinder ab drei Jahren lutschen können. Allerdings beiinhaltet die eine Menge Füllstoffe. Nichtsdestotrotz gibt es dazu bereits eine Studie der Charite Berlin. Die Symptome von Hausstauballergikern verbesserten sich damit deutlich. Wenn Milch dennoch für dich ein No Go ist, dann könnte Benifuuki Grüntee genau dein Ding zur Allergie-Bekämpfung sein. Denn auch zu seinen diesbezüglichen Qualitäten gibt es bereits eine spannende Studienlage.

Alexandra Binder About Author

Journalistin, Hashimoto-Hero, Kochwunderwaffe, Achtsamkeits-Anfängerin

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