Was genau hinter Long COVID steckt, ist noch nicht klar. Aber die Internistin, MCAS- und Long Covid-Expertin Dr. Corinna Geiger erklärt die aktuellen Hypothesen genauer. Sie teilt ihr Verständnis der Erkrankung und der Therapie mit uns.
Theorien rund um Long Covid gibt es eine ganze Menge. Die aktuell fünf interessantesten, die Long-Covid Experten momentan verfolgen, sind:
- Viruspersistenz: Es wird also vermutet, dass COVID Viren im Gewebe bestehen bleiben und weiterhin aktiv sind.
- Gewebeschäden: Durch die eigentliche Infektion oder die daraus resultierende Immunantwort ist Gewebe (dauerhaft) geschädigt worden und daher nicht mehr in der Lage, seiner Aufgabe im selben Ausmaß nachzukommen.
- Persistierende „low grade“ Inflammation: Unser Immunsystem schüttet weiterhin Entzündungsbotenstoffe aus, obwohl die Infektion bereits vorbei ist.
- Mikroclotting: Blutgerinnsel „verstopfen“ unsere kleinsten Gefäße und ändern so die Mikrodurchblutung in unseren Organen. In diesem Fall kann therapeutisch versucht werden, die Situation mit Cerebokan, Thrombo ASS, Clopidogrel und Atorvastatin zu verbessern.
- Autoimmunität: Es bilden sich Antikörper gegen körpereigene Strukturen und schränken deren Funktion ein.
Meiner Meinung nach ist tatsächlich nicht jedes Long COVID gleich, sondern es bestehen verschiedene Subgruppen, die auch unterschiedliche Symptome haben und unterschiedlich therapiert werden sollten.
Long Covid: Dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit
Dabei sind die Symptome vielfältig, was eine genaue Diagnose schwierig macht und voraussetzt, dass viele andere alternative Diagnosen als Ursache ausgeschlossen werden.
Long Covid: Die Symptome
Zu den Symptomen gehören:
- Muskel- und Gelenksschmerzen,
- Herzrasen, Kopfschmerzen, Kribbelgefühle, Fatigue/Erschöpfung, Schwindel
- Brain Fog / Konzentrationsstörungen
- Grippegefühl
- Luftnot oder reduzierte Belastbarkeit
- Brustschmerzen
- Sehstörungen
- Haarausfall
- veränderte Hitze- oder Kältetoleranz
- Schlafstörungen
- Blutdruckschwankungen
- Durchfall oder Verstopfung
- Schlafstörungen
Long Covid-Symptom: Kreislaufregulationsstörungen
Besonders hervorheben möchte ich die Kreislaufregulationsstörungen – das heißt die Symptome Schwindel, Herzrasen, Blutdruckschwankungen. Sehr häufig entwickeln Patienten nach COVID ein sog. POTS (Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom). Hierbei handelt es sich um eine Kreislaufregulationsstörung, die bei Wechsel der Körperlage – zum Beispiel vom Liegen ins Sitzen – auftritt. Also Ursache können Antikörper gegen Teile des vegetativen Nervensystems gefunden werden, aber auch Entzündungen der kleinen Blutgefäße und dortigen Nervenfasern. Wichtig ist zunächst einmal auszuschließen, dass eine ursächliche Herzerkrankung vorliegt – hier helfen der Herzultraschall (Echokardiographie) und ein Langzeit-EKG oft schon weiter. Häufig vernachlässigt wird die Überprüfung der Kreislaufregulation. Dies kann mit dem so genannten Schellong Test oder auch NASA Lean Test erfolgen. Das Protokoll dazu findest Du hier!
Zusätzlich sollten im Labor die Elektrolytregulation (inkl. Osmolalität) sowie die Blutdruck-regulierenden Hormone überprüft werden, um andere Ursachen auszuschließen.
Diagnose POTS
Sollte dann letztendlich die Diagnose POTS gestellt werden können folgende Therapien versucht werden:
- POTS Elektrolytlösung trinken bzw. Salzkonsum auf 8 g täglich steigern
- Kompressionsstrümpfe tragen
- Wadenmuskulatur vor Körperlagewechsel aktivieren
Abgesehen davon gibt es auch noch verschiedene medikamentöse Therapieoptionen, die aber unbedingt ärztlich besprochen werden müssen – dazu zählen: Mestinon, Ivabradin, Clonidin und andere.
Vielen Patient:innen merken eine Besserung der Konzentrationsstörungen, sobald Sie Kompressionsstrümpfe tragen.
Long Covid-Symptom: Schlafstörungen – tired but wired
Kommen wir zum Thema Schlafstörungen. Hier erzählen mir viele Patienten vom selben Gefühl: „tired but wired“, das ich ansonsten von Patient:innen mit MCAS (Mastzellaktivierungssyndrom) oder ME/CFS kenne. Es beschreibt das Gefühl körperlich völlig erschöpft und müde zu sein, aber dennoch wie unter Strom zu stehen, so dass man nicht zur Ruhe kommen kann und damit auch nicht erholsam schläft. Dies mündet oft in einen Teufelskreis: der nicht erholsame Schlaf führt dazu, dass man unerholt aufwacht, der Tag umso anstrengender wird und man am Abend wieder erschöpft aber unter Strom ist . . . täglich grüßt das Murmeltier. Aus internistischer Sicht kann dem eine Dysbalance im Stresshormonhaushalt und Neurotransmitterhaushalt zugrunde liegen. Eigentlich sollten unsere Stresshormonspiegel (im Speziellen das Cortisol) in der Früh sehr hoch sein, damit wir gut und mit Energie aus dem Bett kommen und gegen Abend immer weiter abfallen um einen erholsamen Schlaf zu gewährleisten.
Dieser Tagesrhythmus kann durcheinander kommen, und dann ist es morgens zu wenig Cortisol um aus dem Bett zu kommen, und abends zu viel, um einzuschlafen. Ein Cortisol Tagesprofil im Labor hilft das herauszufinden. Zusätzlich haben einige Studien einen positiven Nutzen verschiedener Nahrungsergänzungsmittel in bestimmten Dosierungen gezeigt, die unseren Stresshormonhaushalt regulieren sollen. Im speziellen führen sie am Abend zu weniger Cortison, mehr Dopamin und Serotonin, und fördern die Entspannung. Eine gute Kombination ist Ashwaganda, Phosphatidylserin, Magnesium, GABA und Melatonin.
Long Covid-Symptom: Grippegefühl
Wenn wir uns weiterhin fühlen als hätten wir eine Infektion, obwohl nachweislich kein Virus mehr aktiv ist, kann das zum Beispiel daran liegen, dass weiterhin Entzündungsbotenstoffe im Körper ausgeschüttet werden, obwohl das eigentlich nicht mehr notwendig wäre. Daher ist es hilfreich im Labor zu testen, ob einerseits Immundefekte (Immunglobulinmangel, T-Zell Mangel, MBL Mangel) bestehen oder bestimmte Entzündungsbotenstoffe noch erhöht sind. Oft findet man dabei aber nichts. Auch in Frage kommt eine Mastzellaktivierung, die Alexandra hier genauer erklärt, und die für viele Symptome verantwortlich sein kann:
Zur Therapie können pflanzliche Mastzellstabilisatoren wie Quercetin, Rutin, Luteolin, Genistein eingesetzt werden. Auch einige medikamentöse Therapieoptionen stehen zur Verfügung: Cromoglycinsäure, Ketotifen, Antihistaminika. Aber Vorsicht: bei Salicylatintolreanz sollte auf Cromoglycinsäure und die pflanzlichen Mastzellstabilisatoren verzichtet werden.
Long Covid-Symptom: Verstopfung
Da COVID über die ACE2 Rezeptoren am Darm in die Zellen eindringt und diesen vorübergehend „außer Betrieb“ nimmt, kann es zu verstärkter Verstopfung kommen. Denn ACE2 ist auch wichtig für die Tryptophanaufnahme und damit Serotoninsynthese am Darm. Serotonin macht uns nicht nur sonst glücklich und entspannt, es sorgt auch für eine gute Darmbewegung und damit für regelmäßigen Stuhlgang. Hier genügt normalerweise eine vorübergehende symptomatische Therapie. Und bitte nicht vergessen: viel trinken und ausreichend Ballaststoffe essen! Da aber auch eine Fructosemalabsorption in den Serotoninhaushalt eingreift, sollte diese mittels H2 Atemtest ausgeschlossen werden.
Long Covid Symptom: Fatigue
Sie ist wohl das schwierigste Symptom. Wichtig ist mir hier den Begriff PEM (Post exertional malaise) zu nennen – dieser beschreibt die Tatsache, dass auf „normale“ Anstrengungen (z.B. Hausarbeit) eine tagelange Zustandsverschlechterung eintreten. kann. Darum ist es in diesem Fall besonders wichtig Pacing – also einen guten Umgang mit den eigenen Energiereserven zu lernen, und sich so wenig wie möglich zu überfordern. Der Einsatz einer Pulsuhr kann dabei hilfreich sein – wünschenswert wäre, dass der Puls nicht über 120/min geht.
Ich hoffe ich konnte ein paar Symptome besser erklären und werde versuchen die Liste noch zu verlängern.
Dr. med. Corinna Geiger
ist Gastroenterologin mit Schwerpunkt Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom, Mastzellaktivierungssyndrom und Long Covid. Sie betreibt eine Praxis in 1010 Wien.
Dieser Text wurde auch auf ihrem Blog veröffentlicht.
www.schnellgesund.at | Foto: ©Miriam Mehlman
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