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Mikroplastik-Interview mit Dr. Verena Pichler

Interview über Mikroplastik: Alexandra Binder im Gespräch mit Dr. Verena Pichler

Längst geht es nicht mehr um die Frage, ob wir Mikro- und Nanoplastik in unserem Körper haben. Es geht um die Menge. Dr. Verena Pichler ist Expertin auf diesem Gebiet und erzählt im Mikroplastik-Interview über ihre Forschung an Darmkrebszellen. Neben dem schonungslosen Status Quo gibt es Tipps, wie Du das Problem für Dich persönlich minimierst.

Ready? Dann tauchen wir jetzt direkt in das Interview ein. Dr. Verena Pichler erklärt, warum Mikroplastik für Deine Gesundheit ein Risiko sein kann und was Du aktiv dagegen tun kannst.

Das Mikroplastik-Interview mit Dr. Verena Pichler

Sagen wir es, wie es ist: Wir alle sind inzwischen mehr oder weniger Plastikbomber. Erst einmal tief durchatmen angesichts dieser Tatsache? Wollte ich provokant sein, würde ich sagen: Semigute Idee. Denn damit kommen im Schnitt 16,2 weitere Plastikteile (Mikro- und Nanoplastik) pro Stunde in Deinen Körper.

So kommt Mikroplastik in Deinen Körper: Der Kreditkarten-Vergleich

Womit wir bei der ominösen, gern kolportierten Kreditkarte landen. Denn in der Woche kommen wir auf eine ganze Kreditkarte, die wir verspeisen. Und wenn Du jetzt denkst, diesen Kreditkarten-Vergleich hat sich ein ganz Schlauer ausgedacht, weit gefehlt. Die Kreditkarte geht aus einer Studie aus 2019 hervor, die die Erkenntnis brachte, dass Mikroplastik überall vorkommt – eben auch in der Luft. Aber Einatmen ist nur ein Weg, es aufzunehmen. Da wäre außerdem verschlucken und der transdermale Weg – über die Haut. Wobei Einatmen der gefährlichste ist.

Und warum ist das Einatmen von Mikroplastik gefährlich?

Erstens, weil so das meiste Nano- und Mikroplastik in unseren Körper kommt, und es zweitens in der Lunge landet, von wo es keinen natürlichen Ausgang mehr gibt – wie etwa beim Magen-Darm-Trakt. Woher kommt das Plastik, das wir einatmen? In erster Linie vom Reifenabrieb. Eine Studie aus dem Jahr 2019 Science Advances fand hohe Konzentrationen von Mikroplastik, insbesondere Lackpartikel und Nitrilgummifetzen, im Schneefall auf der ganzen Welt. Ja, auch in den Alpen und der Arktis. Selbst so abgelegene Orte wie Grönland und Svalbard, eine winzige, isolierte Insel in der Nähe der Arktis in Norwegen, enthielt bis zu 1.760 Mikroplastikpartikel pro Liter Luft, berichtet Iqair. Was hilft? Weniger Autofahren, weniger ultraschnelles Abbremsen und Anfahren.

Aus dem Mikroplastik-Interview: Wandfarben, Teppiche, Kunststoffkleidung

Du wohnst in einer verkehrsarmen Zone? Gut. Allerdings geben auch Wandfarben, Teppiche und Kunststoffkleidung Mikroplastik ab. Ein Übersichtsartikel in Science of the Total Environment aus dem Jahr 2020 zeigte, dass synthetische Fasern aus der Textilherstellung, in der Größe von 1 bis 5 Mikrometern Potenzial haben. Das ist nämlich klein genug, um in die Atemwege und die Lunge zu gelangen. Reibst Du über die Oberfläche von Polyesterkleidung, fliegen tausende winzige Fasern in die Luft.

Mikroplastik und Nanoplastik: Wo liegt der Unterschied?

Infografik: Unterschied zwischen Mikroplastik und Nanoplastik in Größe und Herkunft. Aus dem Mikroplastik-Interview mit Dr. Verena Pichler.
Vergleich: Mikroplastik und Nanoplastik – zwei Größen, ein Problem.

Mikroplastik ist reiselustig: Es erreicht jeden Punkt der Welt

Und weil ich ja gern noch einen draufsetze, lassen wir uns folgendes Faktum aus dem Mikroplastik-Interview auf der Zunge zergehen: Es gibt mittlerweile keinen Ort mehr, vom Gletscher bis zur Wüste, an dem wir kein Plastik einatmen. Nein, auch nicht in der Arktis. Ist Mikro- und Nanoplastik einmal in der Luft, kann es auch Tausende von Kilometern durch die Erdatmosphäre reisen. Wobei Du am Land deutlich weniger belastet bist, als in der Stadt – Stichwort Verkehr und Reifenabrieb.

Forscher der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) haben Mikroplastik sowohl in der Luft als auch im Wasser, einschließlich Ozeanen, Seen, Schneefall und Niederschlag, gefunden.

So wirkt Mikroplastik auf Deinen Magen-Darm-Trakt

Über den Magen-Darm-Trakt nehmen wir Mikro- und Nanoplastik wie erwähnt ebenfalls auf. Forscherin Pichler bestätigt: Sobald ein Nahrungsmittel mit Plastik in Kontakt kommt, beinhaltet es Plastik. Punkt. Dummerweise hilft es wenig, unverpackt einzukaufen. Denn es findet sich bereits in unseren Böden und gelangt von dort in unser Obst- und Gemüse. Auch im Leitungswasser wurde es schon nachgewiesen, genau wie im Mineralwasser. Das heißt jetzt aber nicht, dass Du weniger trinken solltest. Filteranlagen für Zuhause darfst Du in diesem Zusammenhang übrigens gern vergessen. Denn die sind in der Regel nicht auf die Größe von Nanopartikeln ausgerichtet. Selbst der Klärschlamm aus Kläranlagen ist übrigens mit Plastik belastet. Sprich das, was nach der Wasseraufbereitung übrigbleibt (Yep, da landet auch das Wasser aus Deiner Waschmaschine, in der Du Polyesterkleidung wäschst). Der Klärschlamm ist allerdings sehr nährstoffreich, und wird von Bauern gern zur Düngung herangezogen (Anm.: in der Biolandwirtschaft ist er nicht erlaubt). Womit wir wieder beim Plastik sind, das sich in unseren Böden findet. Eine Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt sozusagen. Wobei da auch noch Planen, mit denen Pflanzen zugedeckt werden, eine Rolle spielen.

Wie sieht’s denn mit Mikroplastik in den tierischen Produkten aus?

Die gute Nachricht: Fisch ist nicht der böseste Bube. Warum? Weil Du seinen Magen-Darm-Trakt in der Regel vor dem Essen entfernst. Yep, wir machen einen Haken unter so genanntes Muskelfleisch. Wilder wird es da schon bei so genannten Filter-Feedern, die die Meere filtern. Darunter fallen etwa Muscheln und Garnelen. Die sind sehr Mikro- und Nanoplastik belastet. Also Adieu Zuppa di Cozze und Spaghetti Vongole. Ja, auch mich bringt diese Erkenntnis zum Weinen. Ebenfalls ein Problem sind Innereien, und zwar von allen Nutztieren. Von der Lunge wollen wir gar nicht reden. Wer isst schon Lunge heutzutage (die landet in Tierfutter). Aber auch die Leber ist ein Problem.

Mikroskopische Aufnahme: Forschung zu Mikroplastik und Auswirkungen auf Darmkrebszellen

Die Forschung von Dr. Verena Pichler
im Rahmen des Projekts microONE

Bei der jüngsten Forschung an Darmkrebszellen zeigte sich, dass Mikro- und Nanoplastikpartikel deutlich länger in der Zelle bleiben, als erwartet, da diese bei der Zellteilung an die neu gebildete Zelle weitergegeben werden. Die Ausbreitung von Krebszellen im Körper könnte durch diese Partikel zudem gefördert werden.

Und was passiert jetzt genau, wenn ich Mikroplastik aufnehme?

Erst einmal erfolgt eine Aktivierung des Immunsystems. Werden hohe Mengen aufgenommen, kommt es zu Entzündungsreaktionen. Schafft es das Mikroplastik in die Zelle, ändert sich deren Beschaffenheit. Die Verbindung mit anderen Zellen nimmt ab. Was insbesondere bei Krebszellen eine Katastrophe ist. Denn löst sich eine Krebszelle ab, und beginnt zu wandern, kann das unter anderem Metastasen auslösen. Aber auch bei Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa wird das ähnlich gefährlich. Auch dazu gibt es bereits Daten. Und als wäre das nicht schon genug, gibt es noch ein anderes Problem: die Anhaftung fettlöslicher Medikamente oder Nahrungsergänzungen wie Vitamin D an Mikro- und Nanoplastik. Im Worst Case werden die statt im Körper zu wirken, mit ausgeschieden.

Kann Dein Körper Mikroplastik wieder loswerden?

Leider nein. Aktuell gibt es keine Möglichkeit, Mikro- und Nanoplastik auszuleiten, oder zu entgiften. Es gibt noch nicht einmal die Option, zu bestimmen, wie stark Du belastet bist. Du kannst nur die Aufnahme reduzieren, die Umwelt selbst möglichst wenig damit belasten – sprich weniger Auto fahren, keine Kunststoffkleidung kaufen, zu unverpackter Bioware greifen, Deine Wände mit Mineralfarbe ausmalen, Naturfaserteppiche nutzen (und vieles mehr). Außerdem kannst Du darauf achten, Dich viel in der Natur aufzuhalten, die noch unbelasteter ist.

Alexandra Binder About Author

Journalistin, Hashimoto-Hero, Kochwunderwaffe, Achtsamkeits-Anfängerin

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