Meine Darmzotten begehen lieber Selbstmord, als sich mit Gluten anzufreunden. Naht das Fest der Feste, macht sich das gar nicht gut. Warum mir die glutenfreie Weihnachtszeit als Zöliakie-Betroffene oft den letzten Nerv raubt, und was ambitionierte Köche daran ändern könnten.
Seit sieben Jahren habe ich eine Begleiterin. Stets an meiner Seite, und mittlerweile zu Beruf und Berufung geworden: Die Autoimmunerkrankung Zöliakie. Kennst Du nicht? Kein Problem. War bei mir noch vor sieben Jahren auch so. Um es Einfach auszudrücken: meine Darmzotten begehen lieber Selbstmord, als sich mit Gluten anzufreunden und eine kurze Zeit den Platz im Dünndarm zu teilen. Kein Gluten also: Das bedeutet dummerweise, alle Getreidesorten meiden zu müssen. Damit aber noch nicht genug. Auch alle Lebensmittel, die diese Getreidesortenbestandteile enthalten, sind tabu. Für mich und viele andere heißt es daher gerade: Auf in eine glutenfreie Weihnachtszeit. Das klingt auf den ersten Blick nicht wirklich kompliziert? Dann lass mich Dich mitnehmen auf eine kleine vorweihnachtliche Reise samt vieler glutenhaltiger Stolpersteine.
1. Glutenfreie Weihnachtszeit: Der Weihnachtsmarkt
An jedem Stand duftet es herrlich. Das Wasser läuft einem im Mund zusammen. Und essen kann ich? Richtig, quasi nichts. Denn allüberall glänzt es nicht nur herrlich, allüberall lauert auch das böse Gluten. Sei es im Handbrot, den belegten Brötchen, dem panierten Fleisch oder Gemüse, den Soßen. Bleiben immer noch Schokofrüchte? Leider nein. Selbst die werden immer wieder mit Gluten gepimpt. Sich einen anzwitschern, habe ich auch schon lange abgehakt: Denn in den Getränken versteckt sich Gluten gern getarnt als Zucker namens Gerstenmalzextrakt.
Mein Weihnachtsmarkt-Tipp
2. Die Firmenweihnachtsfeier
Mit der Einladung zur Firmen-Weihnachtsfeier startet – wie das Amen im Gebet – jedes Jahr aufs Neue das adventliche Wundern & Staunen ob meiner ebenfalls wiederkehrenden Anfrage: „Ist für mich etwas glutenfreies dabei?“ Die unerquicklichen Antwortmöglichkeiten sind vielfältig. Meine Lieblings-Antwort fällt aber faktisch am Meisten: „Das musst Du vor Ort selbst erfragen.“ Gut, gut. Ich komme also „völlig entspannt“ zu einer Großveranstaltung, bei der Hektik in der Küche vorprogrammiert ist, und frage dann beim nächstbesten Buffet-Mitarbeiter oder Koch, der mir über den Weg läuft, ob man für mich eine glutenfreie Variante machen könne. Super Idee!
Gern kriege ich dann zu hören: „Nein, es gibt nichts Glutenfreies“. Oder: „Ja, dies und das, aber ich kann nicht garantieren, ob das kontaminationsfrei ist.“ In beiden Fällen hole ich meine weihnachtlich selbstgeschmierten Schnitten aus meiner Handtasche, und ertrage tapfer den restlichen Abend die entsetzten Blicke meiner Tischnachbarn.
Mein Weihnachtsfeier-Tipp
3. Die Familienweihnachtsfeier
Aber mit der Familie gelingt die glutenfreie Weihnachtszeit doch sicher? Könnte man denken. Immerhin lädt Oma Inge jedes Jahr zum familiären Adventsessen ein, und tischt allerlei glutenfreie Köstlichkeiten auf – etwa Vanillekipferl oder andere Weihnachtsbäckereien. Ich allerdings gehe in Gedanken in diesem Moment nicht die vielen Leckereien auf dem Tisch durch, sondern, welche Kontaminationsgefahren wo auf mich lauern könnten. Weil jetzt in der Regel die Fragezeichen Überhand nehmen, kommt eine kleine Erläuterung: Bei einer Zöliakie können kleinste Spuren Gluten, in der Größenordnung „Sandkorn“, Entzündungsreaktionen im Darm auslösen. Daher muss ganz sauber und kontaminationsfrei gearbeitet werden. Das ist in einem Haushalt, in dem hauptsächlich glutenhaltig gekocht wird, aber nur schwer möglich.
Heißt im Klartext: Oma Inge dürfte zum Beispiel keinen Holzlöffel verwenden oder ihr geliebtes Handrührgerät. Sie müsste sich neue Backformen kaufen und dürfte darin niemals einen glutenhaltigen Teig gebacken haben. Die Zutaten müssten zudem zertifiziert glutenfrei sein und vieles mehr. Du siehst schon, das Ganze gestaltet sich schwieriger als gedacht.
Mein Familienfeier-Weihnachtstipp
Und die Moral aus der Geschichte?
Warum erzähle ich Dir das überhaupt alles? Weil Aufklärung genau mein Ding ist. Die Weihnachtszeit ist für Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten keine leichte Zeit. Jeden Tag müssen wir abwägen, wie hoch das Risiko sein wird. Ringen wir uns schweren Herzens durch, und sagen ab, stoßen wir selten auf Verständnis. Stattdessen müssen wir uns rechtfertigen.
Wenn ich mir was wünschen darf, dann ist es mehr Aufmerksamkeit und Verständnis. Denn mit jeder Mahlzeit vertrauen wir jedem Profi-, aber auch jedem Hobbykoch das Wertvollste an was wir im Leben besitzen: unsere Gesundheit. Geht bitte sorgsam damit um! Dann funktioniert auch eine glutenfreie Weihnachtszeit.
Sybille Wermann
ist zertifizierte Ernährungsberaterin für eine gesunde glutenfreie Ernährung sowie Zöliakie und Darmgesundheit. Sie begleitet Zöliakie-Betroffene & Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Sie wohnt in Leipzig und bietet ihre Beratungen online an. https://ernaehrungsberatung-glutenfrei.de
3 Comments
Pierre
20. Dezember 2022 at 21:18Guter und interessanter Artikel. Hat sich sehr schön gelesen. Unglaublich welch Tücken überall lauern. Das Verständnis dafür ist in unserer Gesellschaft leider noch nicht angekommen. Wenn man darauf anspricht wird glutenfrei oft wieder mit so einer neuen Modeerscheinung gleichgesetzt.
Doreen
21. Dezember 2022 at 10:39Ist wirklich nicht leicht, sich durch die Weihnachtszeit zu kämpfen. Ich hab keine Zöliakie aber dafür Hashimoto und verzichte deswegen auch auf Gluten. Vor kurzem musste ich lernen, dass auch Gummibärchen Gluten enthalten. Stück für Dtück lerne ich dazu. Meinem Darm tut es jedenfalls gut.
Alexandra
21. Dezember 2022 at 12:59Hach ja, die guten alten Gummibären. Ich bin aber manchmal sogar froh, weil ich dann um den vielen Zucker rumkomme. ? Schau mal, dieser Artikel könnte Dich vielleicht intetessieren https://www.autoimmun-lifestyle.com/verstecktes-gluten/