Medizinisches & Hintergründe

Helfen Abnehmspritzen bei MCAS?

Können GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Ozempic® oder Mounjaro® ein Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) positiv beeinflussen? Ja, richtig gelesen. Mit dieser Frage beschäftigt sich eine gerade in The American Journal of the Medical Sciences publizierte neue Studie. Ob sich daraus ergibt, dass Abnehmspritzen künftig wirklich eine Therapieoption bei MCAS sein könnten, liest du hier.

Das ist nicht etwa ein Aprilscherz – wäre auch eigenartig, da wir Juli haben. Tatsächlich hat eine Gruppe von renommierten MCAS-Forscher:innen aus den USA und sehr erfahrenen MCAS-Ärzt:innen – darunter die deutsche funktionelle Ärztin Dr. Katja Aschenbrenner, eine Studie zur Wirksamkeit von GLP-1-Rezeptor-Agonisten, umgangssprachlich Abnehmspritzen genannt, bei Patient:innen mit Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) durchgeführt. „Mit Ergebnissen, die Hoffnung machen“, wie Aschenbrenner sagt, die bei der Studie unter anderem Dr. Lawrence Afrin gearbeitet hat, dem MCAS-Pionier und einem der Erstbeschreiber der Krankheit überhaupt.

Abnehmspritzen bei MCAS? Warum so eine Studie?

Die Symptome eines MCAS, sagt Co-Autorin Aschenbrenner, können sehr vielfältig sein und verschiedene Organsysteme betreffen, beispielsweise die Haut (Ausschläge, Juckreiz), den Magen-Darm-Trakt (Durchfall, Übelkeit, Unverträglichkeiten) das Herz-Kreislauf-System (Blutdruckabfall, Herzrasen) oder die Atemwege (Atemnot). Soweit, so gut. Auch klar ist, dass die Beschwerden von Person zu Person sehr unterschiedlich sein können, und viele Betroffene dummer Weise dauerhaft an vielerlei Symptomen in mehreren Organsystemen gleichzeitig leiden. Die best­passende Behandlung zu finden? Schwierig. „Wir haben deshalb geprüft, ob eine bereits bekannte Medikamenten­klasse, sogenannte GLP-1-Rezeptor­agonisten, die man eigentlich gegen Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit einsetzt, auch bei MCAS helfen kann“, erläutert die deutsche Spezialistin. Ja, wir sprechen da etwa von Ozempic® (Semaglutid) oder auch Mounjaro® (Tirzepatid).

Wie wurde die Studie durchgeführt? Wie war die Dosierung?

Es wurden 47 MCAS-Betroffene (15–71 Jahre, 89 % Frauen) beobachtet, die unterschiedliche GLP-1-Medikamente erhielten (weil andere Behandlungs­versuche nicht genug Erfolg gebracht hatten). Die Dosierung war dabei sehr individuell. Dr. Aschenbrenner schreibt auf ihrem Instagram-Account zu dieser Frage: „Die Dosierung war tatsächlich bei jedem Patienten/jeder Patientin anders, und es wurden auch verschiedene Wirkstoffe eingesetzt, bei manchen Semaglutid, bei anderen Terzepatide.

Stichwort Microdosing von GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Bei einigen wurde mit den regulär empfohlenen Dosierungen behandelt, bei vielen eine Low-Dose-Strategie eingesetzt, z. B. mit nur einem Zehntel der offiziellen Startdosis.“ Gesamt sei weniger in diesem Zusammenhang oft mehr, und anzuraten, nur langsam oder gar nicht zu steigern. Ihre Kollegin, US-Medizinerin Tania Dempsey bestätigt das und ergänzt: „Eine nützliche Strategie ist die Mikrodosierung oder die Veränderung der Dosierungshäufigkeit. Anstatt sich strikt an die Standarddosierungspläne zu halten, stellen manche Patient:innen fest, dass eine Anpassung der Dosierung – sei es durch kleinere, häufigere oder seltenere höhere Dosen – dazu beitragen kann, Nebenwirkungen besser zu kontrollieren, und die Gesamtwirksamkeit zu verbessern. Dieser Ansatz ermöglicht eine Feinabstimmung basierend auf ihren individuellen Reaktionen und Verträglichkeiten – wodurch die Behandlung besser an ihre persönlichen Bedürfnisse angepasst werden kann.“

Was ist das Ergebnis – kurz zusammengefasst?

„89 % der Studienteilnehmer spürten eine deutliche Besserung der Beschwerden, z. B. weniger Schmerzen, weniger Magen-Darm-Probleme, weniger Erschöpfung (Fatigue), weniger allergische Symptome, stabileres Gewicht. Positive Effekte zeigten sich oft schon innerhalb weniger Tage. Größere Nebenwirkungen traten nur selten auf.“

dR. Katja Aschenbrenner

Was bedeutet das konkret? Helfen Abnehmspritzen nun bei MCAS?

Aschenbrenner bringt es so auf den Punkt: „GLP-1-Rezeptor­agonisten könnten für viele MCAS-Patient:innen ein neuer Therapie­baustein sein. Bevor sie breit eingesetzt werden, braucht es jedoch größere klinische Studien, um die gezeigte Wirksamkeit zu bestätigen und die beste und sicherste Dosis herauszufinden.“

Und wieso wirken Ozempic und Co. bei Mastzellproblemen?

Interessanterweise haben die Mastzellen Rezeptoren für GLP-1: „Die Wirkstoffe binden also direkt an GLP-1- und/ oder GIP-Rezeptoren auf der Mastzelle. Wahrscheinlich wird damit die Mastzelle stabilisiert und die sogenannte Degranulation von Mastzellen wird reduziert. Es werden also nicht mehr so häufig und/ oder unkontrolliert Botenstoffe ausgeschüttet. Das wirkt im Endeffekt entzündungshemmend.“ Dempsey schreibt hier folgendes zu dem möglichen Wirkmechanismus: „Binden diese Medikamente an GLP-1-Rezeptoren auf Mastzellen, stabilisieren sie die Zellen, indem sie die sogenannte Degranulation reduzieren – den Prozess, bei dem Mastzellen Signalmoleküle freisetzen, die Entzündungen auslösen. Ebenso erhöht die Aktivierung von GIP-Rezeptoren die Insulinsensitivität und senkt oxidativen Stress – beides trägt zusätzlich zur Entzündungshemmung bei.“

Abnehmspritzen bei MCAS als neue Behandlungsoption?

Die Kombination von Effekten, die die Mastzellaktivität beruhigt, und ihre Degranulation reduziert, ist viel versprechend. So viel kann man aktuell sagen. Also ja, Aschenbrenners Fazit lautet: Medikamente wie Semaglutid und Tirzepatid könnten zu einem wirksamen Mittel bei der Behandlung von Erkrankungen mit überaktiven Mastzellen, wie dem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) werden. Es brauche aber noch größere, randomisierte Langzeitstudien, so Aschenbrenner.

Obwohl diese Ergebnisse in der Tat spannend und vielversprechend sind, ist es wichtig zu beachten, dass unser Verständnis noch in den Kinderschuhen steckt. Es bedarf weiterer Zeit und Forschung, um die Wechselwirkung dieser Medikamente mit Mastzellen und ihre potenzielle Rolle bei der Behandlung von Mastzellerkrankungen vollständig aufzuklären.

Dr. Tania Dempsey

Natürliche Mastzellstabilisierer wären dir derzeit noch lieber? Dann lies den Artikel über die derzeit bekannten natürlichen Optionen, die Mastzellen positiv zu beeinflussen.

In welchen Bereichen haben GLP-1-Rezeptor-Agonisten noch Potenzial?

Einsatz bei Autoimmunerkrankungen

Auch im Hinblick auf Autoimmunerkrankungen könnten Semaglutid und Tirzepatid eine Zukunft zu haben. Warum? Was weiß man da bis jetzt? Sie aktivieren GLP-1- und GIP-Rezeptoren, die Immunzellen auf verschiedene hilfreiche Weise beeinflussen können. Dr. Tania Dempsey sagt dazu: „Diese Kombination von Wirkungen kann diese Medikamente zu einem potenziell wirksamen Mittel bei der Bekämpfung und Behandlung immunbedingter Erkrankungen machen.“

Quelle: Dr. Tania Dempsey.

Einsatz im Hinblick auf das Darmmikrobiom

Semaglutid und Tirzepatid können zudem zur Verbesserung der Darmgesundheit beitragen, indem sie das Darmmikrobiom – die Gesamtheit der Mikroorganismen im Verdauungstrakt – positiv beeinflussen. Einige wichtige Auswirkungen dieser Medikamente auf Ihr Darmmikrobiom sind:

Quelle: Dr. Tania Dempsey

„Zwar bedarf es weiterer Forschung, um die Beziehung zwischen diesen Medikamenten und dem Darmmikrobiom vollständig zu verstehen“ so Dr. Dempsey. Doch die Fähigkeit von Semaglutid und Tirzepatid, Entzündungen zu reduzieren, die Verdauung zu verändern und die Stoffwechselgesundheit zu verbessern, lasse darauf schließen, dass sie zusätzliche Vorteile für die Darmgesundheit bieten könnten.

Dr. Simone Koch, funktionelle Ärztin aus Berlin hat auf Social Media die Effeke bei Long Covid thematisiert.

Aber sind Ozempic® & Co. wirklich sicher?

Dempsey sagt: „Bei der Beurteilung der Sicherheit von Semaglutid und Tirzepatid ist es wichtig, über Sensationsschlagzeilen und Panikmache hinauszublicken.“ Diese Medikamente hätten nachweislich positive Wirkungen, könnten aber wie jede Behandlung auch Nebenwirkungen haben, die es zu verstehen gelte. Zu welchen Nebenwirkungen kann es kommen?

  • Magen-Darm-Probleme: Übelkeit, Erbrechen und Durchfall oder Verstopfung – insbesondere zu Beginn der Behandlung.
  • Auswirkungen auf den Blutzucker: Mögliche Veränderungen des Blutzuckerspiegels – besonders relevant für Personen mit Diabetes.
  • Reaktionen an der Injektionsstelle: Leichte Reizung oder Rötung an der Injektionsstelle.
  • Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen: Schwerwiegende Nebenwirkungen sind zwar selten, können aber Pankreatitis oder Schilddrüsentumoren umfassen. Es ist wichtig, so Dempsey, den ärztlichen Rat zu befolgen und ungewöhnliche Symptome sofort zu melden.
  • Verlust von Muskelmasse: Ein schneller und übermäßiger Gewichtsverlust kann, wenn er nicht richtig überwacht wird, zu Muskelschwund und einer Verringerung der fettfreien Körpermasse führen.
  • Zu schneller Gewichtsverlust: Unkontrollierte Anwendung kann zu einem zu schnellen Gewichtsverlust führen, der schlaffe Haut und andere gesundheitliche Probleme verursachen kann.

Obwohl diese Nebenwirkungen besorgniserregend sein können, so Dempsey weiter, würden sie oft so dargestellt, dass die Risiken übertrieben würden. „Schlagzeilen und Medienberichte verstärken manchmal die negativen Aspekte dieser Medikamente und schüren so unnötige Angst. Auf der anderen Seite können diese Medikamente jedoch tatsächlich einige unangenehme und unnötige Nebenwirkungen haben, wenn sie nicht von erfahrenen Expert:innen verschrieben und überwacht werden.“ Bei der Behandlung von Medikamenten wie Semaglutid und Tirzepatid hänge der Unterschied zwischen positiver und negativer Erfahrung oft davon ab, wer die Behandlung leitet.

💡 Hinweis: Dieser Artikel basiert auf sorgfältiger journalistischer Recherche, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und persönlicher Erfahrung. Er dient ausschließlich der Information und ersetzt keine ärztliche Beratung. Eine Haftung für daraus abgeleitete Handlungen wird ausgeschlossen.

Dr. Katja Aschrenbrenner, Co-Autoin der Studie zu Abnehmspritzen bei MCAS.

Dr. med. Katja Aschenbrenner

führt eine Praxis für ganzheitliche Medizin in Berlin. Als funktionelle Medizinerin ist sie Mitglied beim Institute for Functional Medicine (IFM) in den USA. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS). Foto: Dr. Aschenbrenner

Dr. Tanja Dempsey, Autoin der Studie zu MCAS geleitet.

Dr. Tania Dempsey

ist US-Endokrinologin und Expertin für chronische Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS). Sie hat das AIM Center For Personalized Medicine (AIM) in Westchester County, New York gegründet. Foto: Dr. Dempsey

Literatur (Quelle: Dr. Tania Dempsey)

  1. Role of a Dual Glucose-Dependent Insulinotropic Peptide (GIP)/Glucagon-like Peptide-1 Receptor Agonist (Twincretin) in Glycemic Control: From Pathophysiology to Treatment – PMC (nih.gov)
  2. GIP and GLP‐1, the two incretin hormones: Similarities and differences – PMC (nih.gov)
  3. Semaglutide – StatPearls – NCBI Bookshelf (nih.gov)
  4. Tirzepatide – StatPearls – NCBI Bookshelf (nih.gov)
  5. Ozempic for Weight Loss: Will It Work for Me? (clevelandclinic.org)
  6. Tirzepatide Enhances Weight Loss with Sustained Treatment but Discontinuation Leads to Weight Regain | Newsroom | Weill Cornell Medicine
  7. Obesity drugs have another superpower: taming inflammation (nature.com)
  8. Unintended Benefit of GLP-1 Treatment for Obesity: Resolution of Chronic Systemic Mastocytosis Symptoms : Bariatric Times
  9. Therapeutic Advances in Diabetes, Autoimmune, and Neurological Diseases – PMC (nih.gov)
  10. Rheumatoid Arthritis: GLP-1 Drugs Like Ozempic May Decrease Flare-Ups (healthline.com)
  11. Obesity drugs have another superpower: taming inflammation (nature.com)
  12. Tirzepatide prevents neurodegeneration through multiple molecular pathways – PMC (nih.gov)
  13. Research Progress on the GIP/GLP-1 Receptor Coagonist Tirzepatide, a Rising Star in Type 2 Diabetes – PMC (nih.gov)
  14. Weight-Loss Drugs Like Wegovy Now Linked to Lower Depression Risk (healthline.com)
  15. Study Suggests Mind-Body Benefits of Weight Loss Drugs (webmd.com)
  16. Tirzepatide vs semaglutide: How do they compare? (drugs.com)
  17. Triple–Hormone-Receptor Agonist Retatrutide for Obesity — A Phase 2 Trial | New England Journal of Medicine (nejm.org)
Alexandra Binder About Author

Journalistin, Hashimoto-Hero, Kochwunderwaffe, Achtsamkeits-Anfängerin

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